Hintergrund
Ausgangspunkt bildet die EU-Rahmenrichtlinie RL 89/391 EWG des Rates über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit, Art. 5, Art. 6 sowie Art. 9 vom 12.06.1989. Diese sollte zu einem europäischen Mindeststandard im Arbeitsschutz führen und wurde in Deutschland mit dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG; Umsetzungsfrist war der 31.12.1992) in deutsches Recht umgesetzt. Das ArbSchG enthält auch die Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung (vgl. Art. 6 Abs.3 lit. a der Richtlinie). Von Bedeutung ist auch die EU-Sozialpartnervereinbarung zu Stress am Arbeitsplatz aus dem Jahr 2004, welche zwar nicht rechtlich bindend ist, jedoch Empfehlungen an den Gesetzgeber enthält, sowie einen Beispielkatalog zur Vorbeugung von Stress, Regelungen zur Fortbildung von Führungskräften etc.
Einem innovatorischem Charakter kommt der 5. Einzelrichtlinie RL 90/270/EWG zur Arbeit an Bildschirmarbeitsplätzen zu. Die Rahmenrichtlinie wird nach Art. 16 der RL 89/391 EWG durch Einzelrichtlinien ergänzt. Diese verdeutlicht in § 3 Bildschirmarbeitsverordnung (BildscharbV) die Notwendigkeit, auch psychische Belastungen am Arbeitsplatz nicht unbeachtet zu lassen.
Initiativen
Die Länder Hamburg, Brandenburg, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein erarbeiteten vor den o.g. arbeitsschutzrechtlichen Änderungen in § 4 und § 5 ArbSchG einen „Entwurf einer Verordnung zum Schutz vor Gefährdungen durch psychische Belastung bei der Arbeit“. Dieser liegt seit Mai 2013 der Bundesregierung als Verordnungsinitiative vor.
Als wichtigste Inhalte können folgende Punkte genannt werden:
- DIN EN ISO 9241: Ergonomische Anforderungen für Bürotätigkeiten mit Bildschirmgeräten (Neu ist die Ergonomie der Mensch-System-Interaktion)
- DIN EN ISO 6385:2004: Grundsätze der Ergonomie für die Gestaltung von Arbeitssystemen
- DIN EN ISO 10075-2: Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung
Hinweis: DIN-Normen kommen generell keine rechtlich bindenden Wirkungen zu, da das Deutsche Institut für Normung e.V. (kein Hoheitsträger) sie auf freiwilliger Basis erstellt. Sie stellen aber einen einheitlichen Standard dar, der dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik entspricht.
Berufsgenossenschaftliche Regeln, Informationen und Vorschriften
Gesetzliche Unfallversicherung
GUV: Information der Unfallkassen
Berufsgenossenschaftliche Information
Was hat das konkret zu bedeuten?
Zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung (PGB) als eigenständiger Teilbereich der Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) sind seit dem Jahr 2014 alle Arbeitgeber mit mindestens einem versicherungspflichtigen Mitarbeiter, damit faktisch alle ca. 3,5 Mio. Arbeitgeber in Deutschland gesetzlich verpflichtet!
Wer ist für die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung verantwortlich?
Grundsätzlich ist der Arbeitgeber für die Planung und Durchführung der Gefährdungsbeurteilung verantwortlich. Er muss die Gefährdungsbeurteilung nicht selbst durchführen, sondern kann zuverlässige und fachkundige Personen damit beauftragen (§ 13 Abs. 2 ArbSchG). Zur fachlichen Beratung sieht der Gesetzgeber vor allem die Fachkräfte für Arbeitssicherheit sowie die Betriebsärztinnen und die Betriebsärzte vor. Diese haben den Arbeitgeber, die für den Arbeitsschutz verantwortlichen Personen und den Betriebsrat bei der Planung und Durchführung der Gefährdungsbeurteilung zu unterstützen und zu beraten (§§ 3, 6 und § 9 Arbeitssicherheitsgesetz – ASiG)
Der Betriebsrates muss eingebunden werden
Besonders wichtig ist die frühzeitige und umfassende Einbindung des Betriebsrates. Denn es gehört zu den Aufgaben des Betriebsrates, darüber zu wachen, dass die Vorschriften zum Schutz der Arbeitnehmer einhalten werden (§ 80 Abs. 1 Nr. 1, Betriebsverfassungsgesetz – BetrVG). Der Betriebsrat hat bei der Organisation und Durchführung der Gefährdungsbeurteilung zudem Mitbestimmungsrechte.
Was ist bei der Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen zu beachten?
Bei der Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen hat sich der Arbeitgeber an Grundsätzen zu orientieren, die in § 4 ArbSchG beschrieben sind. Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird. Von besonderer Bedeutung ist die Regelung der Schutzmaßnahmen: Die Gefahren, die von der Belastung ausgehen, sind vorrangig an ihrer Quelle zu bekämpfen; individuelle Schutzmaßnahmen für die einzelnen Beschäftigten sind nachrangig zu anderen Maßnahmen. Maßnahmen, die sich auf die Verhältnisse wie Organisation, Struktur, Prozesse und Tätigkeiten beziehen, sind den Maßnahmen vorzuziehen, die auf das Verhalten der Beschäftigten abzielen
Keine Maßnahme ohne Wirksamkeits-Prüfung
Zu den Grundpflichten des Arbeitgebers gehört es auch, getroffene Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen (§ 3 Abs. 1 ArbSchG). Dazu gehört die Beurteilung, ob sich die psychische Belastungssituation nach Umsetzung der Maßnahmen in der gewünschten Weise verändert hat.
Die Gefährdungsbeurteilung psychische Belastungen ist keine Einmal-Aktion!
Die Gefährdungsbeurteilung ist regelmäßig zu überprüfen. Der Arbeitgeber hat die Gefährdungsbeurteilung unverzüglich zu aktualisieren, wenn sicherheitsrelevante Veränderungen der Arbeitsbedingungen, neue Informationen, zum Beispiel Erkenntnisse aus dem Unfallgeschehen, vorliegen. Eine Aktualisierung ist auch erforderlich, wenn die festgelegten Maßnahmen nicht wirksam oder ausreichend sind (§ 3 Abs. 7 BetrSichV). Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls sich ändernden Gegebenheiten anzupassen (§ 3 Abs. 1 ArbSchG).
Dokumentation
Alle Betriebe sind gesetzlich zur Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung verpflichtet (§ 6 ArbSchG). Aus der Dokumentation muss erkennbar sein, dass die Gefährdungsbeurteilung angemessen durchgeführt wurde. Die Unterlagen müssen daher Angaben zu dem Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung, zu den festgelegten Arbeitsschutzmaßnahmen sowie zu dem Ergebnis der Überprüfung der durchgeführten Maßnahmen enthalten. Die Dokumentation nach § 6 ArbSchG erfordert keine bestimmte Form – Unterlagen in Papierform sind ebenso zulässig wie elektronisch gespeicherte Dateien.
Folgen für den Arbeitgeber bei unterlassener Gefährdungsbeurteilung psychische Belastung
Nimmt der Arbeitgeber die notwendigen Schritte nicht vor, kann der Betriebsrat über sein Initiativrecht aktiv werden (gemäß §§ 87 I Nr. 7, 89 I 1 BetrVG). Auch einzelne Arbeitnehmer (gemäß § 5 I ArbSchG i.V.m. § 618 BGB) können den Arbeitgeber zum Ergreifen von Maßnahmen veranlassen. Bei Verletzung der Arbeitsschutzpflicht haftet der Arbeitgeber bei einem Schaden gegenüber dem Arbeitnehmer (§ 618 Abs. 3 BGB), soweit nicht die zuständige Berufsgenossenschaft (was regelmäßig der Fall sein dürfte) für den Schaden einsteht, vgl. § 104 SGB VII. Weiter stellt die Nichteinhaltung der Arbeitsschutzvorgaben eine Ordnungswidrigkeit dar, § 25 Abs. 1 Nr. 1 ArbSchG.